Sanieren und Weiterbauen im Bestand
Der Gebäudebestand prägt unsere gebaute Umwelt in vielerlei Hinsicht. Von historischer Bausubstanz in Orts- und Stadtkernen, freistehenden Bauernhäusern über die nach dem Krieg entstandenen Einfamilienhaussiedlungen und Wohnanlagen. Darüber hinaus Schulgebäude aus vergangenen Schulbauinitiativen der 1960er und 1970er-Jahre sowie Bauten im Tourismus oder in Gewerbegebieten.
All diese Gebäude sind zunächst durch ihren Standort, die Entstehungszeit, die damals maßgeblichen gesellschaftlichen Vorstellungen und Werte sowie individuelle Eigenheiten geprägt. Und sie stehen auch für bestimmte energietechnische Standards und daraus resultierende Energieverbräuche. Auch hier lassen sich Verbindungen zu gesellschaftlichen Veränderungen herstellen. Wärmeschutz spielte lange keine Rolle. Erst mit der Ölkrise in den 1970ern begann ein Nachdenken über den Energieverbrauch der Gebäude. 1981 wurde zum ersten Mal in den Tiroler Bauvorschriften der Wärmeschutz in Form von U-Wert-Grenzen bei einzelnen Bauteilen eingeführt. Veränderungen der energiepolitischen Rahmenbedingungen führten zu einer stetigen Verbesserung der Energieeffizienz.
Spätestens seit der Dringlichkeit aufgrund des voranschreitenden Klimawandels sind die thermische Sanierung und die Reduzierung des Energieverbrauchs im Bestand allgegenwärtig.
Gebäudebestand in Tirol
208.503
Objekte, Stichtag 01.01.2021
des Gebäudebestandes in Tirol stammen aus der Bauperiode von 1945 bis 1980.
Dieser Zeitraum ist gekennzeichnet durch einen mangelhaften Wärmeschutz in der Errichtungszeit.
Mit den 1990er-Jahren wurde begonnen, den Bestand gezielt thermisch zu sanieren.
Ca. 40 % der Gebäude aus der
Bauperiode von 1945 bis 1980 sind bereits saniert.
Es bleibt noch ein riesiges Einsparpotenzial von mehr als 40.000 unsanierten Gebäuden übrig.
Die nachfolgende Generation der Bauzeit zwischen 1981 und 1990 mit einer Anzahl von 26.000 Gebäuden, ist zwar mit einem deutlich verbesserten Wärmeschutz als die Vorgängergebäude ausgestattet, muss jedoch zur Zielerreichung von Tirol 2050 energieautonom auch noch entscheidend verbessert werden.
Aus der Bauperiode von 1945 bis 1990 müssen daher weiterhin ca. 1.000 bis 1.300 Gebäude jährlich saniert werden.
Bedeutung der Sanierung für die Umsetzung der Energieautonomie
Zur Zielerreichung von Tirol 2050 energieautonom muss die wärmetechnische Qualität der Sanierungen gesteigert werden. Der Wärmeschutz muss dabei etwa um den Faktor 1,7 besser als die baurechtlichen Mindestvorgaben (Größere Renovierung) ausgeführt werden. Anders betrachtet: Wir müssen den Gebäudebestand sogar etwas besser als den aktuell gültigen Neubaustandard sanieren.
Das Förderprogramm „Wohnhaussanierung“ des Landes Tirol fördert die Zielerreichung von Tirol 2050 im Bereich des Mehrfamilienhauses bereits mit der höchsten Förderung im Rahmen des Ökobonus.
Viele Sanierungsprojekte, auch aus dem Tiroler Sanierungspreis 2021, zeigen vorbildlich, dass eine Umsetzung auch heute schon möglich ist.
Zielwerte Heizwärmebedarf (HWBRef, RK in kWh/m2a)
Sanierung oder Abreißen und Ersatzneubau
Im Bestand steckt schon viel Energie z. B. jene, die für Herstellung, Transport, Lagerung usw. des Bestandsgebäudes aufgewendet wurde. Ein Abriss und Neubau schneidet bezüglich der Frage des Energieeinsatzes – über den gesamten Lebenszyklus betrachtet – im Vergleich meist schlechter ab als eine Sanierung. Aus einer ökologischen Perspektive ist eine Sanierung meistens sinnvoller. Es ist aber wichtig, die Substanz des Bestandes u. a. hinsichtlich bautechnischer und bauphysikalischer Herausforderungen bei einer Sanierung oder funktionaler Qualitäten bei einer möglichen Umnutzung zu begutachten.
Sanierung als Chance zur Veränderung
Die Sanierung eines Gebäudes sollte immer ganzheitlich betrachtet werden und über den Fokus der thermischen Sanierung hinausgehen. Im Falle einer Sanierung ist es daher wichtig, die Potenziale des Bestandes zu erkennen und ein Gebäude gezielt aufzuwerten, an gesellschaftliche Veränderungen anzupassen und für die Zukunft zu rüsten. Grundprinzip der Sanierung sollte immer die Verbesserung eines Gebäudes und die Vermeidung eines Zufallsprodukts sein. Dazu braucht es ein Wissen um die Qualitäten des Bestandes, den Bezug zur Entstehungszeit und die (Neu-)Einordnung in das Orts- oder Siedlungsbild. Ein hochwertiges Weiterbauen am Bestand ist nahezu bei allen Gebäuden möglich. Auch Gebäude unter Denkmalschutz lassen sich durch qualitätsvolle architektonische Interventionen oder Zubauten sehr gut erweitern.
Neben dem für die thermische Sanierung wichtigen bau- und energietechnischen Know-how braucht es ein hohes Wissen an Gestaltungsqualitäten. Insbesondere Architekten und Architektinnen spielen daher eine wichtige Rolle in einem ganzheitlichen Sanierungsprozess.
Grundprinzip der Sanierung sollte immer die Verbesserung eines Gebäudes und die Vermeidung eines Zufallsprodukts sein.